Begriffe zu Flucht und Fluchthilfe aus der DDR

Einführung

Diese Begriffe dienten der Vorbereitung auf mein Buch „Wege durch die Mauer“. Sie waren bei allen Fluchthelfern, auch den „Ganoven“, in Gebrauch. Zu einem erheblichen Teil wurden sie von den drei „Urvätern“ der Fluchthilfe – Detlev Girrmann, Dieter Thieme und Bodo Köhler – geprägt.

Antrag

Fragenkatalog Antrags
Fragenkatalog, um beim Erstellen eines Antrags nichts zu vergessen.

Die Anträge sahen bei fast allen Fluchthelfern ähnlich aus: Neben Fotos und Passbildern mussten auch Namen, Alter, Wohnort und Erreichbarkeit des Flüchtlings notiert werden, vor allem, wenn er außerhalb von Ost-Berlin, in der „Zone“, wohnte (da benötigten wir immer einen Zwischenträger, also einen Ost-Berliner, der in die Zone fahren konnte, weil die „Läufer“ (s. dort) nur nach Ost-Berlin einreisen durften, nicht in die Zone). Aber auch in Ost-Berlin waren Kontaktaufnahme und weitere Kontakte oft mit Schwierigkeiten verbunden, wenn der Flüchtling z.B. nicht zu Hause war, wenn ein nichtsahnender Familienangehöriger die Tür öffnete, wenn der Flüchtling kein separates Zimmer hatte, in dem man sich ungestört unterhalten konnte, wenn ein Hausbewohner die Kontaktaufnahme beobachtet oder gehört hatte und man sich deshalb ganz rasch wieder trennen musste, wenn die sofortige Flucht Freunde oder Verwandte gefährdet hätte etc..

Außerdem musste der Antrag ein absolut sicheres Kennwort enthalten, immer in Form von Rede und Gegenrede, z.B. im Blumengeschäft: Läufer: „Ich komme, um die 7 Gerbera abzuholen.“ Flüchtling: „Die sind nicht mehr gut; kann ich Ihnen auch 7 Rosen geben?“ Klar ist, dass diese Sätze nur dem Antragsteller und dem Flüchtling, dann in der Zentrale der Fluchthelfer und zuletzt dem Läufer bekannt sein durften, dass der Flüchtling sicher sein konnte, dass die Kontaktperson „echt“, und der Läufer, dass die angesprochene Person auch wirklich der Flüchtling war.

Da DDR-Passbilder kleiner waren als die in der Bundesrepublik üblichen, musste zur Passfälschung das Foto des Flüchtlings vergrößert und darüber hinaus mit dem Stempel eines Fotografen aus dem Westen versehen werden. Bei den Fluchten im umgebauten Auto hatte das Bild in einem Antrag die Funktion, den Kontakt für den Läufer abzusichern. Wenn er auf Grund des Bildes den Flüchtling erkannt hatte, konnte er ihn noch eine Weile warten lassen und beobachten, ob der Flüchtling z.B. versteckt irgendwelche Zeichen gab (wir wollten ja sicher gehen, dass der Flüchtling kein Spitzel war).

Antragsteller

Angehörige, Freunde oder Bekannte von Flüchtlingen, die bei den Fluchthelfern den Antrag stellten, einem oder mehreren Menschen zur Flucht in den Westen zu verhelfen. Zu Anfang gab es natürlich keine Antragsteller; die Fluchthelfer der ersten Stunde hatten aber Listen mit den Namen der Studenten, die im Osten wohnten und an den Universitäten des Westens studierten, weil sie aus politischen Gründen im Osten nicht studieren durften. Als diese Studenten in den Westen kamen, wurden sie aber meist sofort zu Antragstellern. Das Prinzip funktionierte wie ein Schneeball-System. Andere Möglichkeiten, an einen Fluchthelfer heranzukommen, etwa durch die Presse, durch Parteien oder Geheimdienste, gab es kaum oder wurden nur sehr selten realisiert.

Anzug

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

auf Ähnlichkeit

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Auto umbauen

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

buddeln

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

Flucht aus der DDR

Aus der DDR flohen von 1945, dem Ende des 2. Weltkriegs, bis zum Bau der Mauer am 13. August 1961 knapp 5 Millionen Bürger in den Westen, und das aus einem kleinen Staat mit nur 15 bis 17 Millionen Einwohnern, täglich durchschnittlich 770, in Spannungs-Phasen über 1.000 bis zu 4.000 pro Tag, insgesamt jeder vierte Einwohner! Und es flohen nicht die Trägen, die sich mit allen Umständen arrangieren wollten, sondern gerade die Intelligenten, die Ärzte, Ingenieure, Hochschullehrer, aber eben auch die Arbeiter und Bauern, die ein bisschen weiter dachten, und vor allem die jungen Menschen (der Anteil der unter 24-Jährigen lag zu allen Zeiten über 50%). Allein diese „Abstimmung mit den Füßen“ zeigt, dass die SED bei freien Wahlen in der DDR nie die Chance gehabt hätte, eine Regierung zu stellen. Das stand auch gar nicht zur Debatte: Die Kommunisten wollten das Volk nach ihren Vorstellungen formen. Dass das Volk sie wählen oder abwählen könnte, war völlig undenkbar!

Bert Brecht, ein überzeugter Sozialist/Kommunist, schrieb nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 ein Gedicht, das diese Situation trifft:

Die Lösung

Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, dass das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?

Fluchthelfer

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

Flüchtling

Die Fluchthelfer trennten nicht Flüchtlinge, also bereits in den Westen geflüchtete ehemalige Einwohner der DDR, von Fluchtwilligen, die ihre Flucht erst planten. Diese Vereinfachung hatte rein praktische Gründe, keine ideologischen.

FU (Freie Universität)

Die FU, die Freie Universität in West-Berlin, war 1948 als politisches Gegenstück zur kommunistischen Humboldt-Universität (HU, in Ost-Berlin) gegründet worden, vor allem von Studenten und Professoren, die bis dahin im Osten gelehrt und gelernt hatten. Zu massiv waren die politischen Eingriffe der Machthaber im Ostteil der Stadt in Forschung und Lehre gewesen, sodass bei vielen Studenten schon 1946/47 der Wunsch aufkam, im Westteil eine neue Universität zu gründen. 1948 relegierten Parteifunktionäre aus völlig harmlosem Anlass einige Studenten von der HU. Das war der Anlass, endgültig aktiv zu werden: Die Gründungsmitglieder konnten einige Villen („Wo Villen sind, ist auch ein Weg“) und frühere wissenschaftliche Institute im nach dem Krieg weitgehend unzerstörten Dahlem beziehen und auf diese Weise eine Art „Hinterzimmer“-Universität gründen.

Dass die Universitäten der DDR dagegen protestieren würden, war vorhersehbar. Beschämend aber war das Echo fast aller westdeutschen Universitäten, die die Gründung – weil politisch motiviert – ablehnten! Das war echtes Elfenbeinturm-Denken, das war tatsächlich der Muff von tausend Jahren! („Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“ war ein Sponti-Spruch der 68iger). Stabilität bekam die FU dann durch großzügige Spenden aus den USA, vor allem von der Ford Foundation, die den Bau zentraler Gebäude und von Vorlesungsräumen ermöglichten.

Ganoven

In den Augen der Stasi und in der Ost-Presse war jeder Fluchthelfer ein Krimineller, Handlanger der CIA und Vorbereiter eines Dritten Weltkriegs, wenn er die Bürger der DDR „abwarb“ (es ist nie ein Mensch aus dem Osten abgeworben worden. Alle DDR-Bürger, die ich je kennen lernte, wollten ihre Heimat nur so schnell wie möglich und unter allen Umständen verlassen). Die Bezeichnungen als Terrorist oder Kriegstreiber sind einfach nur lächerlich.

Es gab in der Geschichte der Fluchthilfe aber auch Menschen, die sich Fluchthelfer nannten, die aber nur die Not anderer Menschen ausnutzen wollten. Die bezeichne ich als Ganoven. Aber auch hier muss man differenzieren: Es gab Ganoven, die doch einen gewissen Ehrencodex hatten, die wirklich versucht haben, Menschen von Ost nach West zu bringen. Aber es gab auch die Anderen, die sogar mit der Stasi zusammenarbeiteten, die Menschen bewusst ins Messer laufen ließen. Allerdings habe ich mich mit diesem Thema nie näher befasst, sodass ich auf Veröffentlichungen verweisen möchte, die dazu sicher noch erscheinen werden (von einer eines Freundes, zu der ich Material und Akten beigesteuert habe, weiß ich).

Hier vielleicht nur einige Denkanstöße: Natürlich gab es eine erhebliche Bandbreite an Möglichkeiten und Charakteren, die nicht so eindeutig einzustufen sind: War z.B. Wolfgang Fuchs ein Ganove oder auch nur halbseiden, weil er Touren initiierte, die z.T. sehr gefährlich waren, bei denen geschossen wurde oder geschossen werden konnte (z.B. seine Fluchthilfe direkt über die verschiedenen Stacheldraht-Zäune, z.B. mit einem Kranwagen etc.; zum Glück wurde dabei aber niemand verletzt)? Oder was soll man von Zeitungsanzeigen halten, die Hilfe bei einem Umzug anboten, wobei die Fluchthelfer erhebliche Summen kassierten, die Flucht dann aber durchaus professionell durchzogen (z.B. Lenzlinger)?

Vielleicht sollte man akzeptieren, dass es in der Einstufung zwischen völligen Idealisten bis hin zu Kriminellen sehr viele Schattierungen gab. Presse, Politik und z.T. auch die Bevölkerung versuchten zwar, eine ganz krasse „Schwarz-Weiß“-Differenzierung in moralischer Hinsicht nach fiskalischen Gesichtspunkten vorzunehmen. Diese ist aber nach allem nicht sehr sinnvoll. Viel besser wäre eine Unterscheidung zwischen Profis und Laien, Profis, die die Materie kannten, sich jahrelang damit beschäftigt haben, die auch in größeren Gruppen und über eine längere Zeit zusammen arbeiteten, und Laien, die in Einzelfällen zu helfen versucht haben, bei denen aber notwendigerweise relativ viele Fluchtversuche schief gingen, wenn sie nicht den Überraschungseffekt des ersten Mals für sich hatten.

geplatzt

Eine Tour ist geplatzt oder aufgeflogen: die Grenzer oder die Stasi – was ab 1962 identisch war, weil ab da Stasi-Mitarbeiter in Grenzer-Uniform Dienst taten – hatten die Tour entdeckt, sodass sie nicht mehr "lief".

holen

Einen Flüchtling holen: einen Bewohner der DDR in den Westen holen, auf welchen Wegen auch immer.

laufen

Eine Tour lief, der ausgetüftelte Weg funktionierte, man konnte jetzt Flüchtlinge auf diese Art und Weise holen.

Läufer

Sicher der am häufigsten verwendete spezifische Begriff. Damit wurden Menschen bezeichnet, die von West-Berlin in den Ostteil der Stadt reisen konnten, um dort einen Flüchtling zu treffen. In der ersten Woche nach dem Bau der Mauer konnten das auch West-Berliner, später nur noch Westdeutsche und Ausländer, nur diese Personengruppen erhielten dann noch eine Tages-Aufenthaltsgenehmigung zum Besuch Ost-Berlins.

Ein Läufer musste je nach Situation auch alle mit dem Flüchtling zusammenhängenden Dinge tun, also z.B. in Ost-Berlin Pässe fälschen, Flüchtlinge, die in Gefahr waren, bei hilfsbereiten anderen Menschen verstecken etc.. Aber klar war aus Sicherheitsgründen auch, dass ein Läufer z.B. nie oder nur im Notfall Pässe, Medikamente oder Bücher in den Osten transportierte (diese Arbeiten übernahmen andere Helfer, die – vor allem beim Schmuggel von Pässen – dafür z.T. auch bezahlt wurden, die sich des hohen Risikos also durchaus bewusst waren).

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

Spitzel

Es gab auch in der Fluchthilfe-Szene Spitzel, die z.T. ganz erheblichen Schaden angerichtet haben. Sie kamen alle aus dem Westen, lebten in Freiheit, erhielten oft hohe Stipendien - und wurden wegen des hohen Verdienstes - die Stasi bezahlte gut! - und z.T. auch aus Überzeugung zu schmierigen Denunzianten. Vor allem geschadet haben uns

  • Jürgen Mielke, geb. 27.10.1941 in Berlin, Kellner
  • Dr. Georgios Raptis, geb. 3.2.1938 in Lesbos/Griechenland, Chemiker bei Schering in Berlin, später wieder zurück in Griechenland und sehr krank, gestorben am 2.8.2008
  • Siegfried Uhse, Friseur, später arbeitslos in Westberlin, evtl. in Thailand oder in der Nähe von Nürnberg untergetaucht und gestorben (er soll zuletzt krank gewesen sein)

Die beiden Letztgenannten stürzten jeweils etwa 200 Menschen ins Unglück! In meinem Buch habe ich ausführlich über sie geschrieben.

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

Stasi

In der ehemaligen DDR arbeiteten 1989 ca. 91.000 Menschen hauptamtlich bei der Stasi, im Ministerium für  Staatsicherheit (MfS). Dazu kamen rund 180.000 IM („inoffizielle Mitarbeiter“, „informelle Mitarbeiter“, „geheime Informanten“ etc.), darunter 3.000 Bundesbürger, die spezielle Dienste im Westen erfüllten (dazu noch 12.000 „Schläfer“ in der Bundesrepublik, die nur auf Kommando irgendwann aktiv werden sollten). Sie alle waren höchst effiziente Mitarbeiter der Stasi mit der Hauptaufgabe, ihre Nachbarn und Verwandten in Ost und West zu bespitzeln. Im Herbst 1989 gab es also ca. 280.000 Menschen in der DDR, die inkognito hauptsächlich gegen die Bürger des eigenen Volkes gearbeitet haben. D.h., auf 58 „normale“ Bürger der DDR kam 1 Stasi-Mitarbeiter, statistisch ein Verhältnis von ca. 1:60. Bei den Ärzten war im Übrigen jeder 20. für die Stasi aktiv! Genauso viele waren es innerhalb der SED, der „staatstragenden“ Partei; in den Streitkräften spitzelte jeder Zehnte für die Stasi. Damit war die Stasi der größte geheimdienstliche Apparat der Weltgeschichte! Solange die DDR existierte, dienten insgesamt ca. 900.000 Menschen dieser – man muss es so sagen – kriminellen Vereinigung.

Nicht erfasst sind hier die Millionen von „Auskunftspersonen“, die es mit steigender Tendenz zu allen Zeiten in der DDR gab. Sie berichteten der Stasi oft ganz bewusst und bereitwillig, was die wissen wollte über Arbeitskollegen, Nachbarn, Familienmitglieder, über Mandanten von Rechtsanwälten und Patienten von Ärzten, oder auch – z.B. nach genehmigten Auslandsreisen – über die Arbeitsverhältnisse im kapitalistischen Ausland. Sie unterschrieben nie eine Verpflichtungserklärung und waren doch ein wesentlicher Teil des Unterdrückungsapparats der Stasi.

Bei allen Unterschiedlichkeiten der beiden deutschen Diktaturen in diesem Jahrhundert ist vielleicht doch ein Vergleich interessant: Im Nationalsozialismus gab es im gesamten Deutschen Reich 32.000 Gestapo-Mitarbeiter (Geheime Staatspolizei), 1 Mitarbeiter auf 2.500 „normale“ Bürger (andere Berechnungen kommen sogar zu einem Verhältnis von 1:8.500). Für die Sowjetunion und den dortigen KGB hat man eine Relation von 1:600 errechnet, also ein Zehntel dessen, was in der DDR üblich war! Ist der Unterschied Stasi : KGB schon eklatant, der zur Getapo ist einfach nur erschreckend. Dabei ist allen klar, dass der Nationalsozialismus einen absolut menschenverachtenden Unterdrückungs- und Bespitzelungsapparat besaß. Zumindest im Hinblick auf Bespitzelung und Überwachung übertraf die DDR diese frühere Diktatur aber um ein Vielfaches! Andere Berechnung: Auf einen Gestapo-Mitarbeiter kommen statistisch über 43 (bzw. fast 150) Stasi-Mitarbeiter, Menschen, die man in beiden Diktaturen nur als Verbrecher bezeichnen kann, weil sie alle nur zum Machterhalt einer kleinen Clique von Ober-Verbrechern dienten und alle Menschenrechte mit Füßen traten.

Die Bevölkerung des Deutschen Reiches umjubelte ihren „Führer“ und die Diktatur im Nationalsozialismus  erschreckend einheitlich auch noch, als sie eigentlich längst hätte erkennen können, dass sie in einem totalitären Unrechtsstaat lebte. Anders in der DDR: Hier stand die Bevölkerung nie auch nur einigermaßen mehrheitlich hinter ihrer Regierung und dem Sozialismus. Deshalb sahen die Machthaber die extreme Bespitzelung aller Bürger durch die Stasi auch als absolut notwendig an.

Die DDR war eine andere Diktatur als die des Nationalsozialismus, aber eben eine Diktatur, auch wenn das viele Nachgeborene nicht wahrhaben wollen. Wobei das sog. „Dritte Reich“ der Nazis auch dann ein Unrechtsstaat und eine Diktatur gewesen wäre, wenn man damals keine Juden und Kommunisten umgebracht und keinen Weltkrieg entfacht hätte! In einem Unrechtsstaat kann man durchaus eine glückliche Kindheit verbringen, und die Straßenverkehrsordnung und das Zivilrecht können zu keinerlei menschenrechtlichen Beanstandungen Anlass geben. Entscheidend ist aber, dass das Strafrecht eine Vielzahl von politischen Verbrechen enthält, die in einem Rechtsstaat nie und nimmer strafbar sind. Wie kann man z.B. eine Republikflucht bestrafen, wo jeder Mensch doch das Recht hat, dort zu leben, wo er will?

Das Erschreckende am Spitzel-Apparat der Stasi ist, dass die meisten Mitglieder Überzeugungstäter waren oder zumindest während ihrer Tätigkeit wurden. Andere Menschen unsicher zu machen, sie zu ängstigen, willkürlich Macht in jeder Form über sie auszuüben, faszinierte offensichtlich erstaunlich viele Menschen.

Noch einige andere Zahlen: Eine Bespitzelung mündete häufig in Inhaftierung und Folter: In der kleinen DDR gab es bis 1989 insgesamt 170.000 bis 200.000 politische Gefangene (ca. 72.000 davon wegen „Republikflucht“). Daneben wurden ca. 130.000 Bürger aus politischen Gründen verfolgt, massiv verhört, geprügelt, gefoltert und durch „Legenden“ (zur Denunziation erfundene Lügengeschichten) „zersetzt“ (heute würde man „gemobbt“ sagen, aber eben nicht nur am Arbeitsplatz). Die Gefahr einer solchen Zersetzung bestand genauso in der Familie und im Freundeskreis, meist so hinterhältig und wirkungsvoll inszeniert, dass viele Bürger nach der Wende beim Einsehen ihrer Stasi-Akten bis in ihre Grundfesten erschüttert wurden, als sie feststellen mussten, dass z.T. ihre besten Freunde, zu denen sie absolutes Vertrauen hatten, sie ausgespäht und alles direkt an die Stasi gemeldet hatten. Eine der üblichen Methoden der Zersetzung, die nur möglich war, weil alle Angst vor der Stasi hatten, war das Ausstreuen des Gerüchts, dass der, der zum Opfer gemacht werden sollte, ein Spitzel für die Stasi sei. Sofort rückten alle Freunde und Kollegen von ihm ab und hielten sich in Zukunft in sicherer Deckung, sprachen nicht mehr mit ihm etc.

In der berüchtigten Richtlinie der Stasi 1/67 werden 7 „bewährte anzuwendende Formen der Zersetzung“ und 5 „bewährte Mittel und Methoden“ beschrieben, z.B. die „systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes“ oder die „systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens“. Durch die Anwendung dieser Methoden war es meist gar nicht mehr notwendig, die „Verdächtigen“ ins Zuchthaus zu werfen; sie wurden schon weit davor „zerstört“. Die Stasi war darauf sehr stolz: In einem Jahresbericht wird festgestellt, dass die weiter angestiegene Zahl von Suizidversuchen (und Suiziden) auf diese „operative Zersetzung“ zurückgehe.

Insgesamt wurden also in der kleinen DDR in den wenigen Jahren, die sie existierte, ca. 300.000 Menschen aus politischen Gründen verfolgt. Auch heute noch sehen die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter diese Menschen als Verbrecher, die sie mit all ihrer Macht „kaputt“ machen sollten und wollten. Sehr viele dieser Opfer erlitten durch die „Behandlung“ der Stasi eine sog. Posttraumatische Belastungsstörung, wurden depressiv oder psychosomatisch krank. Viele konnten diese Verletzungen auch nie mehr im Leben überwinden. Sie waren „gebrochen“, ihr Leben lang. Ihre besondere Tragik ist, dass sie natürlich nie medizinisch betreut wurden, nie betreut werden konnten, weil der Staat und die Stasi sie ja leiden lassen wollten.

Die Stasi nahm ihren Auftrag sehr ernst, fühlte sich als „Schild und Schwert“ der in der DDR allein entscheidenden Partei, der SED, gab sich aber immer, wenn es opportun schien, eigene Gesetze, war also ein Staat im Staate. Real, was die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten betrifft, war sie eine kriminelle Vereinigung, die das Recht beugte, wie es ihr gefiel, und die die Bürger der DDR nach eigenem Gutdünken und ohne Kontrolle drangsalierte.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch das Ergebnis meiner eigenen Recherchen: Viele Bürger der DDR hatten sich in ihrem Staat „eingerichtet“. Sie mussten zwar ihre Kinder zum Lügen erziehen (schon die Vierjährigen hatten im Kindergarten zu schwindeln, dass sie angeblich nur das Ost-Sandmännchen, die Abbildung der Uhr dort (die sah anders aus als beim Sandmännchen im Westen) und die entsprechenden Fernseh-Folgen kannten, obwohl in fast allen Haushalten nur „West-Fernsehen“ lief); aber man konnte leben – wenn man nicht aus irgendwelchen oft harmlosen und zufälligen Gründen in die Hände der Stasi fiel. Wenn das aber der Fall war, prügelte oder folterte die Stasi auch völlig harmlose Bürger zu Feinden des Staates. Sie „machte“ sich ihre Gegner auf diese Weise häufig selbst! So z.B. auch Hasso Herschel, der vor seiner fast zufälligen „Behandlung“ durch die Stasi ein begeisterter Jungpionier und FDJler war. Danach blieb nichts von dieser Begeisterung übrig; jetzt war er Staatsfeind auf Dauer. Ähnliche Erfahrungen hatten viele Bürger der DDR gemacht, die dann mit unserer Hilfe in den Westen fliehen konnten.

Konkret: Jeder 4. Bürger der DDR war bis 1961 in den Westen geflohen, vom Rest (DDR = „Der Doofe Rest“ war ein bekannter Witz, für den man 2 Jahre im Zuchthaus landen konnte) war jeder 60. bei der Stasi. Und: Ohne die Mauer wäre dieser Staat schon 1961 kollabiert, allerdings wohl nicht so friedlich wie 1989. Konnte irgendjemand, kann irgendjemand stolz auf diese Diktatur sein?

Und wenn je doch, muss er sich schon fragen lassen: zu welchem Preis? Oder: auf wessen Kosten? „Wir waren uns darüber im Klaren, dass wir irgendwann alle Dreck am Stecken haben würden; etwas anderes war gar nicht möglich. Man wusste ja irgendwann nicht  mehr, wo ein Verhalten noch taktisch und wo es bereits Opportunismus geworden war“, sagte dazu Wolfgang Engel, der ehemalige Leipziger Schauspiel-Intendant.

Der Sozialismus/Kommunismus als Staatsform machte – wie jede Form von Diktatur – den Menschen auch ohne eigenes Zutun schuldig, auch wenn er nur zusah und sich nicht anders als durch Schweigen wehren konnte. Diese „moralische Schuld“ muss man aber ganz eindeutig abgrenzen gegen die tatsächliche Schuld der Täter, der Protagonisten, die diesen Unrechtsstaat vertreten und propagiert haben.

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

Taucher

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

Tour

Bezeichnete jeden Weg über die Grenze oder durch die Mauer; eine Tour konnte also ein Tunnel sein oder ein Trick mit Pässen. Dieser Begriff wurde vor allem verwendet, wenn man aus Sicherheitsgründen dem Gegenüber nicht genau sagen wollte, wie die Tour lief. Wenn man etwas genauer sein konnte oder wollte, sprach man von einer Auto-Tour, einer Pass-Tour, einer Tour über das Ausland etc..

Transporteur

Damit bezeichnete man Fluchthelfer, die Pässe, später auch Medikamente und Bücher, in den Osten brachten. Pass-Transporteure waren manchmal auch Angestellte irgendeines Konsulats oder einer Botschaft, also Ausländer, die von den Grenzern weniger gründlich kontrolliert wurden.

Bücher und Medikamente transportierten vor allem sozial engagierte Studenten. Obwohl sie immer wieder kontrolliert wurden, flogen diese Touren nie auf. Als Weg wurde hier fast immer die Interzonen-Autobahn benutzt, wobei die Studenten das „Material“ an festgelegten Punkten an Parkplätzen ablegten. Es wurde dann später von den Adressaten im Osten abgeholt, nachdem die sich vergewissert hatten, dass „die Luft rein“ war (die DDR hatte ein Sicherungssystem etabliert, das relativ schwierig auszutricksen war: Ost-Rentner, die sich so ein Zubrot verdienten, beobachteten die einzelnen Parkplätze, teils offen, wenn sie aber bösartig waren, auch aus einem Versteck heraus. Selbst die Ablage von Material, erst recht das Abholen durch Bewohner der DDR, war deshalb recht gefährlich).

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

umhängen

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

Vier-Mächte-Status

Nach den Konferenzen der späteren „Siegermächte“ (ohne Frankreich) 1944 in Malta und Jalta unterschrieben die Außenminister der USA, Großbritanniens und der UdSSR schon am 12. September 1944 in London ein Protokoll über die Aufteilung Deutschlands nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in „Zonen“; in Bezug auf Berlin hieß es in ihm: „Das Gebiet von Großberlin wird gemeinsam von den bewaffneten Streitkräften der USA, des UK (United Kingdom = Großbritannien = England und seine Partnerstaaten) und der UdSSR (Vereinigte Sowjetrepubliken) ... besetzt.“ Frankreich trat diesem Protokoll am 1. Mai 1945 bei. Von da an waren es also vier Mächte, die Berlin nach den Beschlüssen am 1.7.1945 unter sich aufteilten, und dem entsprechend gab es auch einen Vier-Mächte-Status von Berlin, in dem u.a. die Zufahrtswege von und  nach Berlin geregelt waren. Die „Westmächte“ hatten dabei aber übersehen, dass nur die Luftwege exakt definiert worden waren; bei den Landwegen bleib es bei Willenserklärungen. Deshalb konnte die UDSSR am 24.6.1948 die Landwege sperren, ohne das Vier-Mächte-Abkommen explizit zu verletzen, und andererseits konnten die Amerikaner und Engländer die „Luftbrücke“ aufbauen, die den Sowjets die erste Niederlage im „Kalten Krieg“ beibrachte: Wegen des Misserfolgs ihrer Absperr-Maßnahmen hoben sie die Sperrung der Zugangswege am 12.5.1949 wieder auf. 

Ein Passus in den Vier-Mächte-Vereinbarungen besagte, dass sich in Berlin kein deutsches Militär aufhalten dürfe. Dieses Abkommen wurde von der DDR spätestens mit dem Mauerbau 1961 gebrochen, als die NVA, die Nationale Volksarmee, von der Grenze um Berlin an die Grenze durch Berlin beordert wurde. Die Bundesrepublik hielt sich bis zum Ende der Zweiteilung Deutschlands an dieses Berlin-Abkommen.

Umfassende Darstellung dieses Themas in meinem Buch "Wege durch die Mauer".

Vopo

Volkspolizei, euphemistischer Name für die Polizei im Osten; eigentlich hätte sie „Antivolkspolizei“ heißen müssen.